Ägypten 25.11.2019

Angriff auf Bastion der Pressefreiheit

Schadi Salat
Mada-Masr Redakteur Schadi Salat wurde anderthalb Tage lang an unbekanntem Ort festgehalten © picture alliance / AP Photo

Reporter ohne Grenzen ist zutiefst besorgt über die Eskalation der Repressalien gegen Journalistinnen und Journalisten in Ägypten. Anlass sind eine Razzia und mehrere Festnahmen bei dem renommierten Nachrichtenportal Mada Masr, das in Ägypten als letztes unabhängiges Nachrichtenmedium von Bedeutung gilt.

„Jede Journalistin und jeder Journalist in Ägypten weiß nun endgültig, dass dieses Regime keinen noch so kleinen Rest von Pressefreiheit duldet“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Spätestens jetzt muss auch jeder Regierung, die sich mit diesem Regime einlässt, klar sein, dass Präsident Sisi gerade die letzten winzigen Freiräume für unabhängige Berichterstattung schließt.“

Sicherheitsbeamte weigern sich, ihre Behörde zu nennen

Am Sonntagnachmittag drangen Sicherheitsbeamte in Zivilkleidung gewaltsam in die Redaktion von Mada Masr in Kairo ein und konfiszierten die Computer und Smartphones aller dort Anwesenden. Auf Nachfrage weigerten sich die Beamten, Angaben dazu zu machen, für welche Behörde sie arbeiteten. Rund drei Stunden lang hielten sie alle Anwesenden in den Redaktionsräumen fest und befragten immer wieder Chefredakteurin Lina Attalah sowie Redaktionsleiter Mohamed Hamama. Auch Eric de Lavarene und Nadia Bletry vom französischen Fernsehsender France 24, die sich zu einem Interview mit Attalah in der Redaktion aufhielten, wurden befragt und stundenlang festgehalten.

Schließlich nahmen die Beamten Attalah, Hamama und die Reporterin Rana Mamduh mit. Einer der Beamten sagte den zurückgelassenen Journalistinnen und Journalisten, die drei würden zur Staatsanwaltschaft gebracht, weigerte sich aber zu sagen, zu welchem Büro der Behörde. Augenzeuginnen und –zeugen folgten dem Kleinbus mit den Festgenommenen zu einer Polizeiwache im Stadtteil Dokki; dort wies man den Anwalt von Mada Masr jedoch ab und sagte ihm, dass die drei sich nicht dort befänden. Am Sonntagabend wurden sie freigelassen.

Schon in der Nacht zu Samstag hatten Beamte in Zivil den Mada-Masr-Redakteur Schadi Salat in seiner Wohnung festgenommen. Auch sie machten keine Angaben zu ihrer Behörde und zeigten keinen Haftbefehl. Salat wurde ebenfalls am Sonntagabend freigelassen; Sicherheitsbeamte setzten ihn an einer Schnellstraße am Stadtrand von Kairo ab. In den Wochen vor seiner Festnahme waren Sicherheitsbeamte mehrmals bei dem Haus aufgetaucht und hatten Nachforschungen über Salat angestellt.

Trotz Online-Zensur bislang relativ verschont von Repressalien

Mada Masr berichtet auf Arabisch und Englisch und hat sich durch fundierte Recherchen und kritische Berichterstattung einen internationalen Namen erarbeitet. Die Website gehörte zu den ersten, die Ägypten 2017 im Zuge einer bis heute andauernden Welle der Internetzensur blockierte. Davon abgesehen war es dem Portal bislang gelungen, weitgehend von Repressalien des Regimes verschont zu bleiben. Vor wenigen Wochen wurde allerdings laut Chefredakteurin Attalah der Mada-Masr-Redakteur und US-Bürger Daniel O’Connell am Flughafen Kairo an der Einreise gehindert und abgeschoben.

Schon 2015 wurde kurzzeitig der Investigativreporter und Redakteur Hossam Bahgat auf Veranlassung der Militärgerichtsbarkeit festgenommen. Er ist weiterhin mit einem Reiseverbot belegt.

Was das jetzige Vorgehen der Behörden gegen Mada Masr ausgelöst hat, ist unbekannt. In Medienberichten wurde spekuliert, dass ein Bericht des Portals über Mahmud as-Sisi den Anstoß gegeben haben könnte. Der älteste Sohn von Staatspräsident Abdelfattah al-Sisi soll dem Bericht zufolge von seinem einflussreichen Posten beim Geheimdienst entfernt und an die ägyptische Botschaft in Moskau versetzt werden – unter anderem, weil er seine Aufgaben nicht zufriedenstellend erfüllt habe, darunter die Kontrolle der Medienberichterstattung. 

Mindestens 33 Medienschaffende derzeit in Haft

In Ägypten sind derzeit mindestens 33 Medienschaffende wegen ihrer journalistischen Arbeit im Gefängnis. Die jüngste Verhaftungswelle begann mit einer Reihe von Demonstrationen am 20. September. Vergangene Woche wurde beispielsweise die Untersuchungshaft für Khaled Dawoud verlängert, einen Redakteur der englischsprachigen staatlichen Wochenzeitung Al-Ahram Weekly, ebenso für die Menschenrechtsaktivistin, Journalistin und Bloggerin Esraa Abdel Fattah. Sie war nach ihrer Festnahme am 12. Oktober offenbar misshandelt und gefoltert worden. Aus Protest gegen ihre Misshandlung ist sie in einen Hungerstreik getreten.

Unter dem seit 2014 regierenden Präsidenten Sisi ist Ägypten eines der Länder mit den meisten inhaftierten Journalistinnen und Journalisten weltweit geworden. Manche werden jahrelang ohne Urteil oder Anklage festgehalten, andere in Massenprozessen zu langen Haftstrafen verurteilt. Kritische Medienschaffende werden als angebliche Unterstützer der verbotenen Muslimbruderschaft gebrandmarkt. Ein Großteil der relevanten Nachrichtenmedien gehört direkt oder indirekt dem Staat, den Geheimdiensten oder regierungsnahen Unternehmern.

Neue Sicherheits-, Medien- und Internetgesetze legalisieren weitreichende Strafverfolgung und Zensur. Beispielsweise dürfen Journalistinnen und Journalisten nur amtliche Angaben zu Terroranschlägen veröffentlichen und müssen damit rechnen, für Berichte über Inflation oder Korruption verfolgt zu werden.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Ägypten auf Platz 163 von 180 Ländern weltweit.



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